Ein Königreich für eine Haftcreme

Travel

Ich bin ein Kind der Steiermark. In meiner Kindheit habe ich es nicht einmal bis ans Adriatische Meer geschafft. Wenn es urlaubsmäßig exotisch wurde, fuhren wir an den Wolfgangsee. Der liegt immerhin außerhalb der Steiermark. Dies mag mit ein Grund sein, dass ich mich stets beim Betreten eines fremden Landes ein wenig unwohl fühle. Afrika stellt für mich eine besondere Herausforderung dar.

Die „afrikanische Art“

Also fühlte ich mich auch diesmal ab der Ankunft in Marokko etwas „unrund“, wenn auch die Ankunft mit der Fähre in Tanger Med denkbar ruhig passierte. Kaum Chaos, keine schreienden Menschen, keine Tonnen von Gepäck – das stimmt nun nicht ganz, aber die Massen an Klumpert befanden sich sicher auf den meterhoch aufgetürmten Dachgalerien der zurückkehrenden Marrokkanerautos festgezurrt  – , keine heranstürmenden oder zerrenden Taxifahrer … Die afrikanische Art zu kommunizieren war mir dennoch sofort sehr präsent und körperlich spürbar unangenehm. Uns als reiche TouristInnen zu erkennen ist auch nicht allzu schwer. Mit unserer bleichen Hautfarbe strahlt unser westlicher Reichtum vergleichbar einem Leuchtturm. Bei aller Sorge: Seit unserer Ankunft in Marokko wurden wir aber noch nie aggressiv unangenehm angebettelt.

Ein Missverständnis

Auf unserem Trekking durch den Hohen Atlas erlebten wir mit dieser psychischen „Vorbelastung“ eine lustige Begebenheit. Am vierten Tag gingen wir fast den ganzen Tag durch das bizarre Tessaout-Tal – ein paar hundert Meter auf der linken Flusseite, dann nach abenteuerlichen Querungen ein paar hundert Meter auf der rechten Seite. Einen Weg in dem Sinn gab es keinen. Wir begegneten Mulis, Eseln, ihren Treibern und zahlreichen Kindern. Die einen Tragetiere transportierten Maisstroh, die anderen Säcke voll irgendwas, andere wiederum waren mit Muli-Mist schwer beladen. Alle Menschen waren freundlich und lächelten vor allem über unsere (durch die schweren Rucksäcke?) ungeschickten Flussquerungen.

Die dritten Zähne

Kurz vor Ichbbakene kam uns ein älterer Berber auf einem Maultier entgegen. Vor uns blieb er stehen und deutete nach den üblichen Begrüßungsfloskeln mit dem Finger in den Mund. Wir schüttelten spontan abwehrend Kopf: Nein, wir geben kein Geld! Der Bauer schüttelte daraufhin ebenso den Kopf, behielt seinen Muli aber hartnäckig auf der Stelle. Dabei drückte er nun mit dem Daumen auf den Gaumen. Wir waren erleichtert, ihn zu verstehen, und boten ihm von unserem Brot und Wasser an. Er schüttelte wieder den Kopf. Nun griff er zum Äußersten und rollte mit der Zunge seine neuen, strahlend weißen dritten Zähne heraus und hielt sie uns hin. Dabei strich er mit dem Finger die Innenseite entlang. Offenbar hatte er neue Zähne, die aber drückten und nicht gut hielten.

Wir mussten alle lachen, denn Haftcreme hatten wir – trotz unseres offenbar von ihm hoch eingeschätzten Alters – keine dabei. Wir verabschiedeten uns bedauernd und gestenreich und unsere Wege gingen auseinander. Die nun auch für uns eindeutigen Gesten sollten wir in diesem Flusstal noch öfters sehen, das zwar einen (erfolg)reichen Zahnarzt, aber keine Haftcreme zu haben scheint. Wir hätten Königin und König dieses Tales werden können, wenn wir nur genügend davon mitgehabt hätten. So blieb uns nichts anderes übrig, als das Tessaout-Tal als ganz normale Wanderer wieder zu verlassen…

Beitrag von

Reinhard Geßl
Reinhard Geßl
Mein Herz schlägt beruflich seit 25 Jahren für eine ökologisch-tiergerechte Landwirtschaft. Die Zukunft der Landwirtschaft kann nur so aussehen! Ich sehe es als meine Berufung, ProduzentInnen und KonsumentInnen zusammen zu bringen.