Der Hohe Atlas – 2300 km Faltengebirge in Afrika. Vor 65 Millionen Jahren haben sich die Afrikanische und die Europäische Platte gegeneinander geschoben und einen bunten Gebirgsbrocken aufgetürmt. Wandert man in den endlosen Weiten, dann scheint es nicht unwahrscheinlich, dass hier tatsächlich der mythische Atlas das Himmelsgewölbe gestützt hat.
Mit dem Bus in den Hohen Atlas
Für die Erfüllung eines meiner Herzenswünsche – einmal im Hohen Atlas zu trekken – haben wir uns das Mgoun-Massiv ausgesucht. Mit bis zu 4068 m fast so hoch, aber mit „weniger“ Touristen – das muss man relativ sehen, da wir am gesamten Trek nicht einem einzigen begegnet sind – als das berühmtere Toubkal-Massiv. Für die Anreise mit dem Zug von Rabat nach Marrakesch, mit dem Taxi zum Gare de Routiere, mit dem Bus nach Amniter und dem Taxi nach Tichka haben wir einen ganzen Tag gebraucht. Von 0 auf 2000 m Seehöhe in 12 Stunden. Am ersten Wandertag erreichten wir nach acht Stunden Gehzeit erstens eine ersehnte Quelle und zweitens einen Campspot am Tamda-See in fast 2700 m Höhe. Er gilt als schönster See des Atlas. Auf Grund der sehr präsenten Trockenheit ist diese Auszeichnung nicht schwer zu bekommen. Der Schlaf war unruhig, da die Luft in dieser Höhe schon merkbar dünn ist.
Für Tag zwei verzeichneten die Wanderkarten großteils gar keine Wege mehr – Markierungen oder sonstige Orientierungshilfen gibt es so oder so nicht. Prompt versäumten wir beim Abstieg vom Pass den richtigen Pfad ins nächste Tal bzw. zum nächsten Pass. Also mussten wir in Tamzrit, einer kleinen Berbersiedlung, mit Händen und Füßen nach dem Weg fragen. Ein junger Mann mit Badeschlapferln begleitete uns in einer Geschwindigkeit, dass wir kaum nachkamen, über Felder, eine Schlucht und einen Abhang hinauf, um uns in der Ferne eine Piste auf den Pass zu zeigen.
Auf dieser stoppten wir nach einer halben Stunde einen VW-Bus mit deutschem Kennzeichen. „Wir können euch nicht mitnehmen, weil wir vier Hunde hier drinnen haben“, war eine zu schwache Ausrede, also saßen wir bald im Auto und ersparten uns so eine Stunde Aufstieg auf den nächsten Pass.
Im nächsten Seitental bogen wir zu früh nach Osten ab und fanden am „Gipfel“ keinen Weg ins Tal. Also hielten wir uns ambitioniert an der Höhenschichtlinie entlang. Schon von weitem sahen wir eine Schafherde, von Nahem auch die gefletschten Zähne der wütend bellenden Hunde. Mattek, der jüngere der beiden Hirten, nahm nicht nur Steine zur Hand, sondern sich auch unser an. Sein Französisch war fließend. Auf jedem Fall wunderte er sich, was wir an diesem Abhang trieben. Belustigt zeigte er uns nicht nur einen Weg zum nächsten Dorf, sondern er begleitete uns leichtfüßig und plaudernd gut eine halbe Stunde. „Kein Problem, ich arbeite hier“, war seine fröhliche Erklärung.
Nach gut 1,5 weiteren Stunden durch hellgrüne, dunkelgrüne, schwarze, hellgraue, hellrote, dunkelviolette Gesteinsformationen – am Schluss sogar mit einer Art bizarrem Kiefernwald – erreichten wir Tagoukht. Ein malerisch anmutendes Berberdorf mit rotbraunen, einfachen Lehmhäusern, einem „Tighremt“ – ein kleiner Wehrturm ebenso aus Lehm – eingebettet in Nussbaumbestände und kleine Felder, alles aber über 2000 m Seehöhe.
Berber sind eine Ethnie der nordafrikanischen Staaten. 36 Millionen Menschen zählt diese Minderheit insgesamt. 80 % der marokkanischen Bevölkerung sind Berber, davon sind allerdings knapp 60 % arabisiert. In Marokko gibt in den Gebirgsregionen Rif, Mittelatlas und Antiatlas drei unterschiedlich Berberdialekte, die mit dem Arabisch wenig gemein haben. Eine davon, Tamatzight, ist eine seit 2011 anerkannte Amtssprache. Die Berber-Kultur wird zwar gerne touristisch beworben, doch das Volk lebt ganz offenbar nach wie vor in Armut – viele Dörfer im Gebirge haben weder Strom noch Wasseranschluss.
Unsere Ankunft im Dorf kann nicht überraschend gewesen sein, da wir Wanderer ja schon zwei Stunden im Anmarsch sichtbar waren. Dennoch taten die Menschen alle sehr beschäftigt bzw. äugten nur versteckt nach uns. Die Frage nach einer (in der Karte vermerkten) Herberge beantwortete ein Eseltreiber mit einer vagen Handbewegung und einem geknurrten „Brahim“. Das Gartentor dort war versperrt. Ein älterer Berber kam von seinen Feldern herauf und gestikulierte. „Brahim?“ entlockte ihm ein Nicken. Daraufhin holte er ein Handy aus seiner Jalabiya und telefonierte. Betrübt deutete er uns, dass die Herberge heute geschlossen sei, da Brahim in Casablanca sei und die Damen des Hauses (ohne Mann im Haus) uns nicht aufnehmen könnten. Kurze Betroffenheit. Vom Hügel winkte aber schon ein Mann.
Eine wunderbare Tachine
Kurze Zeit später saßen wir bei und mit Mohammed bei einem Tee im „Wohnzimmer“ seines hübschen Lehmhauses. Es wurde geplaudert. Kurz nach 19 Uhr stand dann Mattek in der Tür. Er sei der Bruder und er habe uns telefonisch angekündigt. Bald aßen wir alle – die Frauen des Hauses blieben unsichtbar – auf marrokanische Art eine wunderbare Tachine. Es wurde weiter geplaudert.
Die Nacht war wunderbar, die Hähne des Dorfes haben uns geweckt. Nach einem traditionellen Frühstück begleitete uns Mattek noch bis zum Aufstieg auf den nächsten Pass. Facebook-Adressen wurden ausgetauscht. Dann gingen wir auseinander. Jeder in seine Welt.
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- Mein Herz schlägt beruflich seit 25 Jahren für eine ökologisch-tiergerechte Landwirtschaft. Die Zukunft der Landwirtschaft kann nur so aussehen! Ich sehe es als meine Berufung, ProduzentInnen und KonsumentInnen zusammen zu bringen.
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