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Weinblätter zum Trinken – Eine erstaunliche Verkostung

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„Als ich zum ersten Mal bewusst Weinblätter aß, war ich erstaunt wie unterschiedlich die Sorten schmecken, der Charakter einer Sorte war klar zu erkennen. So wie der Merlot in die Horizontale wächst, so schmeckten auch die Blätter. Die Blätter des Blaufränkisch schmeckten geradlinig, so wie der Blaufränkisch auch wächst und hatten eine frische Säure. Als Biodynamiker ist mir klar dass das Wesen einer Pflanze auch schmeckbar ist, aber von der Deutlichkeit war ich überrascht.“ So lautete der Einladungstext von Franz Weniger zu einer fast privaten Verkostung am diesjährigen Fronleichnamstag in seinem Horitschoner Bioweingut. Ich fand das sehr interessant. Also fuhr ich ins Mittelburgenland.

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(Bio-)Pionier auch punkto Boden

Franz Reinhard Weninger ist biodynamischer Winzer in zweiter Generation. Vater Franz hat das für seine Blaufränkischen weltberühmte Weingut schon vor einer Dekade auf Bio umgestellt. Als einer der ganz Frühen im Mittelburgenland. Während die anderen noch damit beschäftigt waren, den rasch wechselnden Marktwünschen nach frischfruchtigen oder auch holzrauchigen Rotweinen nachzuhecheln, konzentrierten sich die Weningers ganz auf das Wesentliche: den Boden. Diese Pionierleistung bietet Franz junior heute die Möglichkeit, sich auf die Suche nach Antworten auf die vielen Geheimnissen des Blaufränkischen zu begeben.

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Aus dem Archiv: Bodeneluat vierer Burgenländischer Bio-Weingüter.

„Bodenschätze“ heißt beispielsweise einer der Dreierkartons. Dreimal Blaufränkisch, dreimal unterschiedlich alte Rebstöcke, dreimal unterschiedlicher Boden ergeben beim vergleichenden Verkosten große Aha-Erlebnisse. Ganz besonders, wenn sich die Gelegenheit bietet, bei der Verkostung der Weine korrespondierende Lösungen der Oberböden im Vergleich zu haben – wie wir das beim Tasting_forum 80: Kostbarer Boden getan haben. Der Geruch des lebendigen Bodens findet sich nämlich ganz erstaunlich deutlich im komplexen Geruchs- und Geschmacksspektrum des Weins wieder.

Klang und Geschmack des Bodens?

Im Projekt „The Sound of Terroir“ näherte sich Weninger auf emotionaler Ebene dem Boden. Als „Weningers wine orchester“ entwickelte er mit klassischen Musiker*innen gemeinsam in wenigen Tagen weinbauliche Instrumente um darauf emotional passende Musikstücke zu spielen oder einzuspielen, die die Gaumen der jeweiligen Weine reflektierten.

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2019 war die Zeit reif für ein neues Experiment. Die Verkostung von frischen Weinblättern zu den jeweiligen Weinen. Die charmante Idee kam ihm, als eine bulgarische Freundin Blätter für traditionelles Sarma suchte, also für die fleischige Variante der gefüllten Weinblätter. Da stellte sich die Frage: Na, welche denn? Beim suchenden Gang durch die Weingärten entdeckten die beiden dann die Unterschiedlichkeit der Weinblattaromen. „Ganz ehrlich: Bis dahin war ich noch nicht auf die Idee gekommen, die Blätter bewusst zu kosten“, erzählt der Bio-Winzer fast ein wenig erstaunt.

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Aus dieser Erkenntnis reifte die Idee: Wenn die Blätter der einzelnen Riede schon so unterschiedlich schmecken, dann lassen sie sich vielleicht auch den Weinen zuordnen? Kurzentschlossen lud der Franz Weninger ein paar (sensorisch kundige) Freund*innen zu einer kleinen Wein- und Weinblattverkostung.

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Blaufränkische Weinblätter

Die einfache Tafel im Weinkellerbauch des Weinguts hatte schon fast sakralen Charakter und passte gut zu dem Verkostungsexperiment. Ohne viel Dings und auf Englisch, weil zwei nichtdeutschsprachige Gäste da waren, ging es ans Verkosten. Den Start machten frisch gepflückte und gewaschene Blätter und Ranken der Sorten Pinot, Merlot und Cabernet Sauvignon. Danach ging es um den Blaufränkischen: Die großen Weine der Lagen Dürrau, Steiner und Kalkofen kamen in die Gläser. Während die Weine hin- und hergeschwenkt wurden und Zeit zum Entfalten bekamen, gingen drei Triebe reihum und jede*r riss sich Blätter und Ranken vergleichbarer Größe ab. Die Aufgabe klang einfach: Welches Blatt gehört zu welchem Wein bzw. welcher Wein zu welchem Blatt?

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Weinbätter und Wein passen zusammen

Um es kurz zu machen und ohne auf Details einzugehen: Jubel und Applaus waren groß, denn rund 80 Prozent der Verkoster*innen gelang die Zuordnung zu 100 Prozent richtig. Bei aller Nichtwissenschaftlichkeit der Versuchsanordnung erstaunte die Eindeutigkeit des Ergebnisses doch. Dieses wurde zudem eindrücklich mit der Zuordnung zum weißen Furmint Steiner oder Kalkofen bestätigt. In dem Flight waren sich überhaupt alle einig, dass das Blatt vom kalkigen Standort kommen muss und somit zur Kalkofen-Lage gehört. Die Ergebnisse wurden als solche stehen und gelassen und nicht weiter erörtert.

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Franz Weninger freute sich jedenfalls wie ein kleines Kind, weil seine Vermutung, dass der Geschmack des Bodens sich nicht nur im Wein, sondern auch im Laub wiederfindet, so eindrücklich bestätigt wurde. Wissenschaftlich wäre dieses Experiment natürlich auch interessant – oder hat jemand diesen geschmacklichen Zusammenhang schon bewiesen? Im Sinne der Biologischen Landwirtschaft, der höchsten Meisterschaft in Sachen Bodenfruchtbarkeit, könnte hier noch geforscht werden…

Franz Weninger, Weingut Weninger (c) organic17 Reinhard Gessl

Eine Warnung gab der Bio-Winzer den Verkoster*innen dennoch mit auf den Weg: „Bitte das Experiment nur mit Weinblättern verlässlicher Herkunft machen. Verwendet bitte nur Bio-Weinblätter, weil sich die systemischen Gifte der Mindeststandard-Landwirtschaft im Pflanzensaft befinden und somit nicht abwaschbar sind!“ In diesem Sinne: Ein Hoch auf den Bio-Wein und dessen Blätter!

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Beitrag von

Reinhard Geßl
Reinhard Geßl
Mein Herz schlägt beruflich seit 25 Jahren für eine ökologisch-tiergerechte Landwirtschaft. Die Zukunft der Landwirtschaft kann nur so aussehen! Ich sehe es als meine Berufung, ProduzentInnen und KonsumentInnen zusammen zu bringen.