Es war so ein Moment im Leben, in dem man von der Wirklichkeit überwältigt ist: Das Eintreffen in der Sekem-Farm. Passiert man nämlich nach 60 Kilometern Fahrt zuerst durch die Verkehrshölle von Kairo und dann durch die Wüste das Einfahrtstor, dann offenbart sich einem ein üppig grünes Mini-Universum konsequenter Nachhaltigkeit.
Sekem – eine biodynamische Vision
Sekem heißt übersetzt so etwas wie sonnenhafte Lebenskraft. Vor über 30 Jahren hatte Dr. Ibrahim Abouleish nach der Rückkehr von seinen Studien in Graz eine Vision. Er wollte – vereinfacht gesagt – der Wüste 20 Hektar wegnehmen und diese dauerhaft begrünen.
Heute erstreckt sich das Wirken der Sekem-Gruppe in Summe auf über 3500 Hektar und bietet etwa 2000 Menschen Arbeit: In einer der biodynamischen Landwirtschaften, der Veredelung, der Vermarktung, der schulischen Ausbildung, aber auch der medizinischen Versorgung. Sekem lebt damit kompromisslos alle Bereiche der Nachhaltigkeit von Ökonomie über das Soziale bis zu kulturellem Wirken.
From stable to table
Wie gesagt, Sekem ist ein Miniuniversum, deren vielfältigen Teile auf deren Website nicht annähernd ausreichend dargestellt werden (können). Wir waren zum Bespiel davon ausgegangen, dass sich am Standort „Sekemfarm“ nahe Belbeis die 70 ha biodynamische Landwirtschaft befindet. Damit überforderte uns bei der Ankunft die Frage, welche Bereiche uns zusätzlich zum Landbau besonders interessieren: Die Gemüseverarbeitung, die Kräuter- und Gewürzaufbereitung, die Schneiderei, die Schule, die sechs Lehrwerkstätten oder gar das Medizinische Zentrum? Wir verhielten uns österreichisch und antworteten: „Was sich alles ausgeht!?“
Vom Baum zum Stoff
„Ausgegangen“ ist sich dann auch die Besichtigung von „naturetex“, der Schneiderei und Näherei von Sekem. Dort werden die 400 Tonnen biodynamischer Rohbaumwolle der Farmen zu Babykleidung und (aus den Verschnittstoffen) zu Stoffspielzeug veredelt. Konstanze Abouleish stellte uns gleich beim Betreten der Produktionsstätte die gefühlten 1000 Schritte und Anforderungsprofile vor, die berücksichtigt werden müssen, um aus Rohbaumwolle ein fertiges T-Shirt zu machen. Unglaublich eigentlich, wenn man bedenkt, dass ein (Billig-)T-Shirt im Durchschnitt der modernen Welt gerade einmal 1,7 Mal getragen wird.
Flugverbot für Pestizide
Wir erfahren auch einen besonders erfreulichen „Nebeneffekt“ der Bio-Baumwollproduktion in Ägypten. Dass bei Sekem die Bio-Baumwolle gänzlich ohne chemisch-synthetischen Gifte erfolgreich angebaut wurde (und wird), war der Ägyptischen Regierung ein so starker Beweis, dass sie schon vor Jahren die bis dahin übliche Ausbringung von Giften mittels Flugzeug verbot. Mit diesem Verbot konnten die Ausbringungsmenge für Pestizide im Ägyptischen Baumwollanbau um 80-90 % verringert werden.
Wie ein Einnäher bioidynamisch entsteht
Vollends in Begeisterung stürzte mich dann das Beobachten, mit wieviel Freude und Akribie ein Naturetex-Einnäher gemacht wurde: Ein Stückerl Stoff, dem normalerweise kaum Bedeutung zugemessen wird. Ein Mann und eine Frau kümmerten sich an einer Bügelmaschine darum, das vermudelte biodynamische Webband glatt zu bekommen. Drei Männer „klebten“ in Dreierbahnen die Bänder auf einen langen Werktisch. Zwei Männer strichen dann in zwei Arbeitsschritten mittels eines Farbkastens mit dicker Farbe die schwarze Schrift auf genau fixierten Stellen auf das Band. Ein Mann trocknete dazwischen die feuchte Ökofarbe mit einem Föhn. In einem weiteren Arbeitsschritt wurden die grünen Elemente aufgebracht. Was danach passierte, kann ich nicht beschreiben, denn es gab auch sonst noch viel zu besichtigen.
Der geübte Optimierer könnte nun einbringen: Für diese Arbeiten gibt es doch sicher Maschinen!? Konstanze Abouleish meint dazu lächelnd: „Für Plastikeinnäher gibt es die schon. Mit der biodynamischen Baumwolle funktionieren sie aber nicht. Außerdem ist es kein Sekem-Ziel, Arbeitsplätze einzusparen, die Menschen – auch solche mit besonderen Bedürfnissen – arbeiten gerne bei uns.“ Die vielen freundlichen, lachenden Menschen in der Näherei bestätigen das eindrücklich!
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- Mein Herz schlägt beruflich seit 25 Jahren für eine ökologisch-tiergerechte Landwirtschaft. Die Zukunft der Landwirtschaft kann nur so aussehen! Ich sehe es als meine Berufung, ProduzentInnen und KonsumentInnen zusammen zu bringen.
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