Ein Gespräch über Nutztierethik mit Thomas Gröbly

Nutztierethik zwingt uns zum Handeln

Organic

Thomas Gröbly lebt in der Schweiz und beschäftigt sich in seinem Ethik-Labor unter anderem mit Nutztierethik. Er ist gelernter Bauer und hatte mehrere Jahre in der Landwirtschaft gearbeitet, bevor er Theologie und später Ethik studierte. Nach Wien kam er als Vortragender der 25. FREILAND-Tagung, wo er in seinem Vortrag „Es ist Zeit! Ethische Zumutungen rund um die Konflikte mit Nutztieren“ die Nutzung von Tieren aus ethischen Überlegungen ablehnte. Ich traf ihn tags darauf im Hotel am Brillantengrund bei schönstem Sonnenschein und wir plauderten überaus nett beim – natürlich vegetarischen – Mittagessen. Ich erlaubte mir, dem Gelehrten das Du-Wort anzutragen, und er nahm es gerne an.

Der Schweizer Ethiker Thomas Gröbly im Interview

Sonja: Fein, dass ich heute mit dir sprechen kann! Dein Vortrag bei der FREILAND-Tagung hat mich sehr beschäftigt und viel Fragen aufgeworfen…

Thomas: …das ist gut!

…vor allem weil du die Nutztierhaltung mit dem Argument der „Würde“ als Widerspruch in sich radikal und pauschal abgelehnt hast. Was habe ich da nicht verstanden?

Ist Werkzeug oder feine Nase besser?

Nun, die Ethik fragt nach einem guten Leben für alle. Wer unter „alle“ zu verstehen ist, darüber kann man natürlich streiten. Ein gutes Leben bedeutet jedenfalls, dass ich meinem Wesen gemäß leben kann und von anderen nicht übermäßig eingeschränkt werde. Ich wünsche mir also genug gutes Essen und Trinken – wie hier – und nette Gespräche, Gesundheit, Freude, Spaß, ab und zu Sex und Nachkommen und ein langes Leben. Verwerfen wir nun die gebräuchliche Meinung, dass wir Menschen „besser“ wären als Tiere, nur weil wir sprechen können. Oder Werkzeuge bauen. Jeder Hund riecht zum Beispiel tausendmal feiner als wir, ist er also „besser“ als ich? Wenn wir aber nicht „über“ den Tieren stehen, dürfen wir sie dann „nutzen“? Wenn man darüber ernsthaft nachdenkt, dann kommt man unweigerlich zur Ansicht: Das dürfen wir nicht, sofern wir Alternativen dazu haben.

Welche Alternativen gibt es denn zur Tierhaltung?

Wir können ja Pflanzen essen. Uns Menschen steht es frei, uns zu entscheiden. Im Gegensatz zum Wolf, der triebgesteuert ist, können wir frei entscheiden, ob wir dieses Schaf dort töten – oder eben nicht. Und stattdessen Salat essen.

Der Ethiker Thomas Gröbly im Gespräch mit organic17.org

Im Vortrag sprachst du von der „Würde der Kreatur”. Sind Pflanzen denn keine „Kreatur“?

Sicherlich! Sie sind ebenfalls Lebewesen. Auch sie haben eine Würde, die es zu schützen gilt. Es gibt mittlerweile viele Erkenntnisse, wie sich Pflanzen untereinander verständigen oder wie sie ihre Strategien ändern, wenn sich äußere Bedingungen ändern. Beim Verständnis über Pflanzen stehen wir jedoch noch ganz am Anfang. „Tiernutzung“ habe ich ja nur zugelassen, falls keine Alternativen bestehen. Da ich aber keine Alternative zum Pflanzenessen habe, ist deren „Nutzung“ zugelassen. Die Würde der Pflanzen bedeutet, dass wir auch mit ihnen nicht alles tun dürfen – zum Beispiel ein Terminator-Gen einbauen. Aber das ist eine andere Diskussion. Ich berücksichtige in dieser Diskussion nur jene Lebewesen, die über ein Zentralnervensystem verfügen.

Warum nur jene mit Zentralnervensystem?

Bei diesen Tieren wissen wir sicher, dass sie ebenso Schmerzen empfinden und leiden können wie wir auch.

Und wie ist das zum Beispiel mit Schnecken oder Insekten? Mit Regenwürmern? Dürfen wir diese Tiere nutzen und uns davon ernähren?

Das wäre eine andere Diskussion, zu überlegen, was ein gutes Leben für Wirbellose bedeutet. Es geht im Grund genommen immer darum, dass wir Menschen Verantwortung tragen und das hört natürlich nicht bei Lebewesen mit einem Zentralnervensystem auf. Wir können entscheiden. Deswegen müssen wir uns auch Gedanken darüber machen, wofür oder wogegen wir uns entscheiden. Ob wir Tiere töten – oder in unserem Namen töten lassen, wenn wir Alternativen dazu haben – oder eben nicht. Das gilt auch für Schnecken, Regenwürmer und Insekten.

Aber Menschen nutzen und töten Tiere schon seit Jahrtausenden, das ist doch menschlich!

Allein dass es „schon immer so war“, gilt für ethisches Handeln nicht. Ich gehe eben von Alternativen aus, die wir als Menschen haben. Wir können und müssen bewusst entscheiden, wo wir den „Gesetzen der Natur“ folgen und wo nicht. Ich denke, dass manche Völker wie zum Beispiel Nomaden in der Sahelzone, die ohne ihre Herden dort nicht überleben könnten, tatsächlich keine Alternativen zur Nutzung ihrer Tiere haben. Ich kann auch nicht von Inuits verlangen, Pflanzenbau zu betreiben. Aber alleine das Argument „Das machen wir schon immer so“ – also sich auf Traditionen zu berufen – reicht sicher nicht. Damit konnte man bestens Sklaverei oder den Ausschluss der Frauen vom Wahlrecht begründen.

Und wenn wir alle unsere Nutztiere artgerecht halten würden?

Entsprechen wir damit den Interessen dieser Tiere? Und: Wollen sie dann von uns getötet werden? Oft als Kinder?

Nutztierethik ist keine Glücksbilanz

Vor vielen Jahren hat sich Dr. Helmuth Bartussek 2001 im Rahmen der 8. FREILAND-Tagung Gedanken gemacht, wie viele Rinder wir in Österreich benötigen würden, wenn alle Bewohnerinnen Veganerinnen werden würden (dieser Beitrag ist hier nachzulesen). Ausgenommen hat er nämlich Kranke, schwangere und stillende Frauen und kleine Kinder, die tierisches Eiweiß – und als Vegetarier Kuhmilch – benötigen. Die Kälber würden aber nicht zur Fleischerzeugung getötet werden. Überraschenderweise kam er fast auf die selbe Anzahl an benötigten Rindern als wir heute halten… Jedenfalls stellte er damals die Frage, ob das Vermehren von Glück – unter den Voraussetzungen, dass diese Rinder ohne unser Zutun gar nicht auf der Welt wären und dass wir sie so halten würden, dass sie „glücklich“ sind – nicht ein Argument wäre für Tierhaltung. Also die „Glücksbilanz der Welt“ zu vermehren. Wie beantwortest du diese Frage?

Ich kenne dieses Argument. Es ist utilitaristisch und deswegen problematisch. Was heißt denn „mehr“ oder „weniger“ Glück? Bei uns Menschen würden wir auch nicht zulassen, in Wohlstand glücklich zu sein, unter der Bedingung, dass wir mit 50 Jahren getötet würden.

Also dürfen wir aus ethischen Überlegungen auch „glückliche“, von artgerecht und stressfrei gehaltenen und geschlachteten Bio-Tieren erhaltene Produkte nicht „nutzen“?

Ich plädiere mit ethischen – hoffentlich überzeugenden – Argumenten für ein Ende oder zumindest eine starke Einschränkung der „Nutztierhaltung“. Wir haben zwar die neoliberale Ideologie verinnerlicht, wonach alles nur nach dem Nutzen und der ökonomischen Verwertbarkeit beurteilt wird. Aber: So wie die Idee der Menschenwürde uns von einem reinen Nutzenkalkül befreit, so verlangt auch der Respekt vor der Würde der Kreatur, dass wir Tiere nicht oder zumindest nicht nur nach deren Nutzen für uns betrachten. Das sind zwingende Ableitungen aus unseren gemeinsamen, europäischen Grundwerten heraus, die wir aber gerne diskutieren können. Ethik behauptet ja nicht, alles zu wissen. Solltest du mir andere Werte nennen, muss ich womöglich meine Aussagen überdenken.

Interview zur Nutztierethik: Thomas Gröbly im Gespräch mit organic17.org

Wir Menschen können zum Beispiel das Grünland, die Almen, die hier in den Alpen vorherrschen, nicht in Nahrung umsetzen. Rinder oder andere Wiederkäuer können das sehr wohl. Ist es da nicht „unethisch“, diese Flächen nicht für unsere Ernährung zu nutzen, indem wir Wiederkäuer mit dem Gras füttern und diese Tiere dann essen?

Das ist natürlich ein Konflikt, das ist mir klar. Natürlich gerate ich immer wieder in Konflikte mit anderem Leben. Umso mehr müssen wir unsere Positionen immer wieder hinterfragen, uns austauschen, kreative Lösungen suchen… Wir könnten das Grünland zum Beispiel anders als mit Tieren nutzen.

Ethik liefert keine schnellen Antworten

Die Alpen aufforsten?

Warum nicht? Oder wir könnten die Almen von Rindern abweiden lassen, ohne diese Tiere zu „nutzen“. Wir müssen jedenfalls darüber nachdenken! Tradition, Gesetze, Markt oder Geld anzuführen als zwingende Argumente, „Nutztierhaltung“ zu betreiben, reichen jedenfalls nicht. Das Interesse der Tiere nach einem intakten Leben ist ein existenzielles Bedürfnis! Wir können uns darüber nicht einfach hinwegsetzen. Auch wenn die Tiere uns dieses Bedürfnis nicht „sagen“ können. Meine Forderungen sind radikal, ich bin mir dessen bewusst. Ich würde aber der „Nutzung“ vor allem von Rindern auf Grünland – etwa 70% der Agrarflächen weltweit ist Grasland – zustimmen, falls sie möglichst wesensgerecht gezüchtet, gefüttert und gehalten werden. Und ein möglichst langes Leben garantiert ist. Sie sollen möglichst schmerz- und leidensfrei getötet werden.

Intaktes Leben ist ein existenzielles Bedürfnis. Wir können uns darüber nicht einfach hinwegsetzen.

Ein Gespräch über Nutztierethik mit Thomas Gröbly

Du hast in deinem Vortrag dazu Tiere und Kinder verglichen. Wie war das gemeint?

Nun, wir respektieren die Bedürfnisse unserer Kinder ja auch, obwohl sie sie nicht selbst argumentieren können. Und solange sie selbst nicht dazu in der Lage sind, übernehmen wir für unsere Kinder Verantwortung. Wir haben ja „Macht“ über sie – genauso wie wir Macht über Tiere haben. Und diese unsere Macht den Tieren gegenüber verpflichtet uns zur Verantwortung, also als Anwältinnen oder Anwälte der Tiere ihre Interessen zu vertreten.

Das klingt ziemlich schwierig…

Ich behaupte ja nicht, dass das einfach ist. Ethik ist eben keine neue Autorität, die uns schnelle Antworten liefert. Ethik irritiert, fragt und klagt im Namen der Tiere an. Ethik zwingt uns zum Handeln im Dienste der Würde der Tiere. Denn es geht ja immer auch um unsere eigene Würde! Gewalt an Tieren ist eine Schande und durch nichts zu rechtfertigen. Sie verletzt nicht nur die Würde und Integrität der Tiere, sondern auch meine eigene. Ich begrüße deswegen jede Bemühung, Tiere nicht zu nutzen!

Dann muss ich mir wahrscheinlich einen neuen Job suchen – ich bin ja Beraterin für Bio-Schweinehaltung… Und ich muss jedenfalls weiter über deinen Beitrag nachdenken… Danke für diese ethischen Gedankenanstöße jedenfalls!

Bitte sehr, gerne!

Beitrag von

Sonja Wlcek
Sonja Wlcek
Ich bin Bio-Schweineexpertin, Beraterin, freie Journalistin und Hobby-Grafikerin. Meine Interessensgebiete reichen mittlerweile von Nutztierhaltung über Urban Gardening bis zum Bodenschutz. Mein Leben bleibt spannend!