Ägypten Bio – Kairo, das Chaos und mangelnde Zahlen

Organic

Sonja und Reinhard auf Kairo-ExpeditionIn Kairo (Ägypten) leben geschätzte 18 Millionen Menschen – vielleicht sind es aber auch 20. Niemand weiß das so genau. Der Verkehr ist atemberaubend, chaotisch und laut. Wir fragten uns, wie es in dieser Megacity möglich ist, tagtäglich ausreichend viele Lebensmittel heranzuschaffen. Außerdem fragten wir uns, wie und über wen wir Informationen zum Biolandbau Ägyptens bekommen sollten. Das weltweite Netz bot nur Daten aus dem Jahr 2008

Wie findet man in Kairo eine Hausnummer?

Dann fand ich die Bio-Kontrollstelle Egyptian Center for Organic Agriculture (ECOA) mit Sitz in Kairo und vereinbarte mit einer freundlichen Dame telefonisch einen Termin in deren Büro. Adresse siehe Website… Die Straße war bald im Bezirk Dokki gefunden, und wir machten uns mit ausreichend viel Reservezeit auf den Weg quer durch die größte Stadt Afrikas. Wir fanden in der Nadi El Seed Straße das Landwirtschaftsministerium und ein Versuchszentrum für Pflanzengesundheit, auch eine Art Veterinäramt und andere in die Jahre gekommene, offenbar (halb?)staatliche Gebäude. Nur die Hausnummer 15 fanden wir nicht. Denn in Kairo sind Hausnummern offenbar unwichtig.

Im 5. Stock finden wir das ECOA-Büro!

Wir fragten einen Wachmann, einen Ober im Kaffeehaus und einen Verkäufer und standen schließlich zweifelnd vor einem unscheinbar aussehenden, mehrstöckigen Wohnhaus. Der dazugehörige Portier war sich selbst nicht sicher, ob ECOA hier untergebracht ist, und musste sich mit einem Bewohner beraten. Fast rechtzeitig stiegen wir dann im 5. Stock aus dem Lift und standen vor einer Firmentafel. Wie ägyptisch, sie dort anzubringen, wo man sie erst findet, wenn man sie nicht mehr braucht…

Zuerst die Nachfrage, dann die Bio-Betriebe

Frau Amy El Zeiny, die freundliche Dame am Telefon, erwies sich als „Executive Managerin“ von ECOA, die größte der zwei in Ägypten akkreditierten Bio-Kontrollstellen. Auf unsere Fragen zu Daten und Fakten des Biolandbaus konnte sie aber nicht viel sagen. Frau El Zeiny wusste nicht, wie viele Feddan (das ist die ägyptische Flächeneinheit) in Ägypten bio-zertifiziert sind oder wie viele ECOA derzeit kontrolliert. Sie wusste auch nicht, wie viele Bio-Betriebe es gibt. Sie konnte aber sagen, dass ECOA etwa 300 Betriebe unter Vertrag hat, die aber aus 10-30 Partnerbetrieben bestehen können.

Fruchtfolge am Bio-Betrieb: Buschbohnen

Die hiesige Bio-Landwirtschaft ist nämlich etwas anders aufgebaut als in Österreich. Hier wird der erste Schritt immer über den (möglichen) Absatzmarkt der Bio-Produkte gemacht. Eine Firma, die zum Beispiel Bio-Gewürze exportieren möchte, lässt sich bio-zertifizieren. Sie nimmt im nächsten Schritt Landwirtinnen unter Vertrag und wickelt die Bio-Kontrolle und Bio-Zertifizierung als Gruppe ab. Das ist insofern hilfreich, da viele Bäuerinnen mit jenen Aufzeichnungen und Prüfungen überfordert sind, die für die Bio-Zertifizierung verlangt werden. Bei guter Nachfrage nimmt die Firma im dritten Schritt weitere Betriebe auf.

Bio kein Thema trotz besserem Verdienst

Die meisten Bio-Firmen sind auf den Export konzentriert, ein Fünftel davon bedient den ägyptischen Markt gar nicht. Frau El Zeiny meinte zwar, dass einer der bäuerlichen Gründe zur Bio-Umstellung die Gesundheit der eigenen Familie ist, wir meinen aber, dass der deutlich bessere Bio-Preis der Hauptgrund ist: Für Bio-Produkte wird etwa doppelt so viel erlöst wie für konventionelle. Und: Der Mehrerlös gleicht den Minderertrag deutlich aus. Bio-Betriebe verdienen also (auch) in Ägypten besser als konventionelle.

Dass Bio trotzdem kein Thema in Ägypten ist, erklärt sich aus dem Desinteresse der hiesigen Bevölkerung an gesunder Ernährung oder Lebensmittelqualität. Denn: Derzeit hat das Land etwa 91 Millionen Einwohnerinnen. Jedes Jahr kommen etwa zwei Millionen Menschen dazu. Da kann Nahrung schon einmal knapp werden. Die FAO gibt an, dass in Ägypten 22 Prozent der Kinder unter fünf Jahren aufgrund von Mangelernährung in ihrer Entwicklung gehemmt und sieben Prozent untergewichtig sind.

Arbeiten fürs tägliche Brot

Ägypterinnen kaufen Lebensmittel vor allem nach dem Preis. Das ist schon schwierig genug, da das Ägyptische Pfund derzeit auf Talfahrt ist. Was für Touristinnen erfreulich ist, erhöht die Lebensmittelpreise für die Einheimischen. Viele Ägypterinnen arbeiten gleichzeitig in zwei Jobs, um ihren Lebensstandard zu sichern bzw. zu erhalten. Die Arbeitslosenrate beträgt 13 Prozent, jene unter Jugendlichen sogar 42%.

Bio-Böden brauchen weniger Wasser und binden CO2

Somit ist die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln in Ägypten mehr als bescheiden. Nur eine kleine (reiche?) Schicht kauft Bio – vor allem Kräutertees. Die meisten in zwei Saisonen erzeugten Bio-Produkte wie Schwarzkümmel, Orangen oder Zwiebeln werden exportiert, die Ägypterinnen greifen zu billigerer konventioneller (Import)Ware.

Kompostplatz als Schlüssel zur Verbesserung der Bio-BödenDabei wäre der Biolandbau eine Lösung des drängenden Wasserproblems in Ägypten! Bio-Felder, deren Böden durch Fruchtfolge und Kompostgaben verbessert wurden, benötigen um ein Drittel weniger Wasser. Außerdem speichern diese Bio-Böden jährlich 0,9 Tonnen Kohlenstoff je Hektar, was zum Thema Klimawandel auch in Ägypten in Zukunft extrem wichtig werden dürfte. Bis sich Biolandbau in Ägypten durchsetzt, dürfte aber noch viel Wasser den Nil hinunterfließen…

Am 5. Dezember ergänzte Frau Amy El Zeiny dankenswerterweise die Daten der ECOA:

ECOA has until now 309 farms with total acreage 31,775 feddans and 116 companies. Not all of them work together, some are supplying farms for big companies and other are individual farms trying to sell their products to companies for export or sell their products in the local market.

ECOA kontrolliert also 13.350 Hektar (ein Feddan entspricht 0,42 Hektar). Nachdem ECOA nach Aussage von Frau El Zeiny 70 Prozent Marktanteil hat, sind etwa 19.000 Hektar ägyptischen Bodens bio-zertifiziert. Insgesamt sind 3.761.000 Hektar in Ägypten landwirtschaftlich genutzt, der Bio-Anteil beträgt damit etwa 0,5 Prozent.

Beitrag von

Sonja Wlcek
Sonja Wlcek
Ich bin Bio-Schweineexpertin, Beraterin, freie Journalistin und Hobby-Grafikerin. Meine Interessensgebiete reichen mittlerweile von Nutztierhaltung über Urban Gardening bis zum Bodenschutz. Mein Leben bleibt spannend!